Raphael Ineichen 19.06.2020
Der Erfolg von Unternehmen hängt in hohem Masse von der Rekrutierung und Bindung von guten Mitarbeitern ab. Diese Aufgaben werden zunehmend anspruchsvoller, nicht zuletzt weil potenzielle Mitarbeiter nur zu gut wissen, dass die Nachfrage nach ihren Fähigkeiten sehr begehrt ist.
Das Problem verschärft sich, wenn gewisse Fähigkeiten im Unternehmen fehlen, das Team chronisch unterbesetzt ist oder bevorstehenden Pensionierungen den Bedarf an kompetenten Talenten beschleunigen. Um damit fertig zu werden, sind die Unternehmen gezwungen, entweder die Stellen mit weniger qualifizierten Talenten zu besetzen oder mehr in die Rekrutierung der “richtigen” Talente zu investieren. Denn eine Fehlrekrutierung kostet ein vielfaches davon.
Um dieser Herausforderung zu begegnen, müssen Unternehmen ein klares Wertversprechen für Mitarbeiter entwickeln (“neudeutsch” Employer Value Proposition oder EVP). Geschieht dies nicht, schadet dies nicht nur dem Ruf Ihres Unternehmens und macht es sehr schwierig, qualifizierte Talente zu gewinnen, sondern Ihr Fehler wird auch ein Gewinn für die Konkurrenz sein.
Im Kern einer guten Employer Value Proposition müssen Sie Antworten auf folgende Frage finden, welche potenzielle wie auch bestehende Mitarbeiter beantwortet haben möchten: “Was ist mein Nutzen, wenn ich für ihr Unternehmen arbeite”. Arbeitszeit gegen Gehalt reicht heute nicht mehr.
Die Employer Value Proposition dienen dazu, das Unternehmen im Kopf des potenziellen Kandidaten "zu positionieren", und zwar vor dem Hintergrund von Hunderten von anderen potenziellen Arbeitgebern. Die EVP steuert wie Talente den Wert wahrnehmen, den sie durch ein Engagement in einem Unternehmen gewinnen würden. Die EVP manifestiert sich über konkrete Anziehungspunkte, die ein Unternehmen seinen Mitarbeitern bietet und nennt sowohl Mitarbeitern als auch Talenten einen Grund, für ein Unternehmen zu arbeiten. Es soll Elemente der Kultur und des Arbeitsumfeldes des Unternehmens beinhalten sowie das Versprechen einer positiven Auswirkung auf die Karriereentwicklung der Mitarbeiter.
Die EVP soll nicht nur als ein "Leistungspaket" betrachtet werden, sondern vielmehr als eine umfassende Sammlung von Vermögenswerten, die letztlich das Engagement der Mitarbeiter fördern und den Mehrwert die ein Mitarbeiter in das Unternehmen einbringt, maximieren. Somit hilft die EVP nicht nur qualifizierte Talente anzuziehen, sondern kann erheblich dabei helfen, sie zu halten.
Schritt 1: Bestandsaufnahme / Realitycheck
Unabhängig davon, ob Sie bereits eine etablierte EVP haben oder gerade erst anfangen, ist der erste Schritt eine Bestandsaufnahme, d.h. die Bewertung des aktuellen Zustands des Unternehmens in Bezug auf die Unternehmenskultur. Dass die Unternehmenskultur für die Zufriedenheit im Unternehmen massgeblich ist, dürfte allen klar sein. Und eine grossartige Unternehmenskultur ist die Basis für Ihre EVP. Gaps zwischen Ist- und Zielkultur gibt es immer, mit einer ehrlichen Analyse und Selbstreflexion lässt sich aber vieles bewegen. Für die Analyse bilden Sie idealerweise ein möglichst heterogenes Projektteam ganz unter dem Motto: „Binde alle ein, die du nicht ungestraft weglassen kannst“.
Schritt 2: Mitarbeiter fragen
Um eine erfolgreiche EVP aufzubauen, müssen Sie wissen, was die Mitarbeiter wollen. Da fragen Sie am besten die, die Sie schon haben. Wenn Sie sich anmassen zu wissen, was die Mitarbeiter wollen, könnten Sie nicht nur falsch liegen, sondern Sie würden auch eine wertvolle Gelegenheit verpassen, zu betonen, wie wichtig Ihr Unternehmen seine Mitarbeiter schätzt. Ganz nebenbei erhalten Sie dadurch gute Einblicke in die Zufriedenheit Ihrer Mitarbeiter und wissen, was es braucht die derzeitigen Mitarbeiter an Bord zu halten und neue Talente zu gewinnen. EVP-Umfragen sollten mindestens ein- oder zweimal pro Jahr durchgeführt werden. Auf diese Weise sind Sie stets auf dem Laufenden darüber, was Ihre Mitarbeiter denken.
Schritt 3: Marktanalyse
Recherchieren Sie den Arbeitsmarkt gründlich und vergleichen Sie, was die Konkurrenz bietet. Das Gehalt ist dabei ein wichtiger Faktor, um erfahrene Talente anzuziehen, es ist aber nur ein Teil des grossen Puzzles, wenn es darum geht, eine effektive EVP zusammenzustellen. Geld allein kann auf einem aggressiven Markt nicht mithalten. Untersuchungen haben gezeigt, dass Geld allein keine Verteidigung gegen Marktabwanderung ist. Eine verlockende EVP muss deshalb einiges mehr als ein gutes Gehalt bieten. Wenn wir ehrlich sind, ist ein angemessener Lohn eigentlich gar kein Benefit, sondern Grundvoraussetzung.
Das Team, fachliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten, der Workplace mit Arbeitswerkzeugen, Tools und Technologien, die Attraktivität der Aufgaben oder der Arbeitsplatz (Standort, Büro, Home Office) sind alles Dinge, welche vielen Mitarbeitern wichtiger sind als der Gehaltscheck.
Schritt 4: EVP herausarbeiten
Die Erkenntnisse aus den ersten 3 Schritten bilden das Rohmaterial, um Ihre Employer Value Proposition herauszuarbeiten. Ergänzen Sie diese um Ihre langfristige Vision oder Ihr BHAG und formulieren Sie daraus die Faktoren, welche Sie im Vergleich zu anderen Unternehmen einzigartig machen. Ein starker Claim, welcher in wenigen Worten zusammenfasst wofür Sie stehen “krönt” die EVP. Für diesen Prozess kann es Sinn machen einen spezialisierten Berater beizuziehen, welcher Sie auf dem Weg zum EVP begleitet.
Schritt 5: Kommunikation auf der Karrierewebseite
DER Kanal, um Ihre neue Employer Value Proposition in die Welt zu tragen, ist die Karrierewebseite. Sie stellt den Überbau (oder das Fundament) zu Ihren Jobangeboten dar und muss darum nahtlos mit diesen interagieren. Was auf der Karrierewebseite kommuniziert wird, muss sich auch in den Jobangeboten 1:1 widerspiegeln - inhaltlich, visuell und technisch. Alles andere ist nicht stringent. Stellen Sie sich vor, einer Ihrer Benefits wäre “moderner Arbeitsplatz und neuste Technologien”. Ihre Stellen publizieren Sie aber als PDF oder beglücken potenzielle Bewerber am Schluss des Bewerbungsprozesses mit einem Formular übersäht mit Pflichtfeldern. Candidate Experience geht anders. Und Ihrem vermeintlichen Benefit wäre der Lack schon ab, bevor sich der Kandidat beworben hat. Übrigens: 60% der Kandidaten brechen den Rekrutierungsprozess nach der Hälfte der Zeit ab, wenn er sich als zu lang oder zu komplex erweist.
Am Ende steht und fällt der Erfolg der Employer Value Proposition damit, dass Sie Ihre zentrale Botschaft leben und auch umsetzen. Nur wenn sich potenzielle Bewerber und Ihre eigenen Mitarbeiter damit identifizieren können, wirken Sie als der Arbeitgeber authentisch und glaubwürdig – und das ist die wohl wichtigste Botschaft an künftige Mitarbeiter.
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