Michi Saggau 16.09.2020
“Candidate Experience” ist inzwischen ein bekannter Begriff. Viele Unternehmen schicken sich an, diese auf einem hohen Niveau zu haben und sehen hier - wenn überhaupt - nur noch punktuellen Verbesserungsbedarf. Diese Überzeugung basiert auf den Aussagen erfolgreicher KandidatInnen, die letztendlich als neue Mitarbeitende eingestellt wurden. Hört man aber den KandidatInnen zu, die zuvor im Rekrutierungsprozess gescheitert sind oder aber diesen noch nicht einmal begonnen haben, so ändert sich das Bild grundlegend.
Gut ausgebildete Talente wollen sich nicht stundenlang durch diverse Stellenausschreibungen wühlen, nur um falsche und unpassende Angebote zu Gesicht zu bekommen. Sie wollen die richtigen Angebote schnell finden und in einem klaren Bewerbungsprozess herausfinden, ob der potenzielle Arbeitgeber zu ihren Zukunftsvorstellungen passt und natürlich auch, ob sie zum Arbeitgeber passen und diesem einen wirklichen Mehrwert bringen können. Ob es eine gemeinsame Zukunft geben kann.
Der erste Kontakt des Talents mit dem Unternehmen ist stets die Stellenbeschreibung. Um diese so effizient wie möglich zu halten, ist eine klare und ehrliche Gestaltung unabdingbar. Wie eine grossangelegte Studie von Stepstone mit rund 30’000 Teilnehmern zeigte, entscheiden sich viele Talente gegen eine Bewerbung, da ihnen wichtige Informationen in der Stellenbeschreibung fehlen (50%), die Unternehmensbeschreibung nicht realistisch wirkt (53%) oder aber die Stellenanzeige allgemein als unglaubwürdig erscheint (64%).
Wenig überraschend sollte hingegen sein, dass sich 8 von 10 Talenten Angaben zum Gehalt bereits in der Stellenbeschreibung wünschen. Die Gehaltsangaben in der Stellenbeschreibung helfen nicht nur den Talenten dabei, die Vakanz eindeutiger einordnen zu können und sich somit nur auf passende Stellen zu bewerben, sondern sie sorgen auch dafür, dass sich weniger über- oder unterqualifizierte Personen bewerben. Hinzukommt, dass die Angabe eines Gehaltsrahmens die viel genutzte Phrase der offenen Unternehmenskommunikation obsolet macht.
Die zukünftigen Aufgaben des Jobs sollten eindeutig beschrieben sein, jedoch auch so knapp wie möglich. Auf unnötige Aufblähungen sollte man tunlichst verzichten (Ein Sales weiss, dass er Kundenkontakt haben wird) und stattdessen nur die wichtigsten Punkte nennen. Gleiches gilt für die Anforderungen an das Talent. Weniger ist mehr! Eine blosse Aufzählung von Softskills (z.B.: selbstständiges oder strukturiertes Arbeiten, Teamplayer), die sich in jeder zweiten Stellenbeschreibung findet, bewirkt lediglich, dass die Aufmerksamkeit des Lesers schwindet. Er hat wahrscheinlich innerhalb der letzten Stunde schon 20x das Gleiche gelesen.
Sollte sich das Talent nun zu einer Bewerbung entschliessen, wird es mit dem Unternehmen in Kontakt treten wollen und stösst damit auf das Bewerbungsformular. Vielfach werden umfangreiche Bewerbungsformulare genutzt, in denen die Talente mit unzähligen Fragen konfrontieren werden. Die Antworten auf die allermeisten dieser Fragen finden sich allerdings auch im angefügten CV. Um so komplexer das Bewerbungsformular um so eher bricht ein Talent die Bewerbung ab. Und mal ehrlich: Welche Informationen sind wirklich nötig? Reicht nicht das CV und eine Möglichkeit für die Kontaktaufnahme?
Ist die Bewerbung endlich beim Unternehmen eingegangen, ändert sich die Rolle des Talents schlagartig. War es zuvor aktiv beteiligt, kann es nun nur noch warten. Wobei jeder Wartetag die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sich das Talent aus dem Prozess zurückzieht. Die meisten Menschen bewerben sich gleichzeitig bei mehreren Unternehmen und es kommt häufiger vor, dass das eine Unternehmen bereits den Bewerbungsprozess beendet und einen Arbeitsvertrag rausschickt hat, während ein anderes Unternehmen noch nach einem Termin für das erste Gespräch sucht. Ein schneller Prozess zeugt auch davon, dass das Unternehmen organisiert arbeitet und das die Belange der Mitarbeiter von Beginn an ernst genommen werden.
Jede Bewerbung verdient übrigens eine zeitnahe Antwort! Die Talente setzen sich im Regelfall mit dem Unternehmen auseinander und im besten Fall passen sie sogar das CV an oder verfassen ein Anschreiben - auf jeden Fall investieren sie Zeit in eine Bewerbung. Dieser investierten Zeit sollte man mit einer Antwort Respekt zollen, auch wenn das Talent für die ausgeschriebene Stelle ungeeignet scheint. Damit werden zum einen negative Bewertungen (Kununu und co) vermindert und, sofern die Antwort nicht nur ein Standard Template ist, sogar positive Erinnerungen geschaffen, schliesslich “hat sich auch das Unternehmen Zeit genommen”.
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